Wer das Weltgeschehen aufmerksam verfolgt, dessen Interesse kann mitunter in Unsicherheit, Angst und Ohnmachtsgefühle umschlagen. „Gegenwärtige Krisensituationen wie die Massenflucht aus Kriegs- und Notstandsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens oder Afrikas rufen vielerorts den Ruf nach verschärften Sicherheitsmaßnahmen auf den Plan“, bestätigt Univ.-Prof. Dr. Katharina Eisch-Angus, Kulturanthropologin der Karl-Franzens-Universität Graz. „Sicherheit“ dominiert als Schlagwort aber nicht nur Politik, Administrationen und die Medien, sondern dringt auch vermehrt in das Alltagsleben ein, weiß die Forscherin. „Themen wie Kriminalität, Migration und Religion, aber auch die Stadtpolitik werden zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit diskutiert und verhandelt.“ Eine zweischneidige Angelegenheit, denn: „Handlungsweisen, die für ein Gefühl der Sicherheit sorgen, können auch in höchstem Maße verunsichern – und zwar jene Personen, die direkt oder indirekt von Überwachung, Kontrolle oder Ausschließung betroffen sind. Wie sicherheitspolitische Maßnahmen in verschiedene Alltagsbereiche hineinwirken und dort an persönliche Schutzbedürfnisse anschließen, untersuchen internationale ForscherInnen der Kultur- und Sozialwissenschaften im Rahmen der Tagung „Der Alltag der (Un)Sicherheit“ am 6. und 7. November 2015 in Graz.
Die Tagung beleuchtet das Spannungsfeld zwischen Sicher- und Unsicherheiten des Alltags an unterschiedlichen Beispielen. Ein Vortragsblock wird sich dem Themenfeld Migration widmen, der durch aktuelle Geschehnisse zusätzliche Brisanz erhält: Hunderttausende Menschen suchen derzeit ihr Heil in der gefährlichen und ungewissen Flucht. Ihre Reise quer durch Europa verstört und verängstigt – sowohl die direkt Betroffenen als auch jene, die sich dadurch innerhalb ihres gewohnten Alltags mit der Migration auseinandersetzen müssen. Zweifel und Ungewissheit prägen auch jene Personen, die den Gefahren ihrer Heimat und jenen der Flucht bereits entronnen sind: Mag. Sarah Niemführ von der Universität Wien hat zu Flüchtlingen, die auf Malta gestrandet sind und auf die Entscheidung über ihren Verbleib warten, geforscht und wird im Rahmen der Tagung über die dortige Situation berichten. Das Leben in der Warteschleife schürt jedenfalls nicht nur Sorgen und Ängste, meint Niemführ: „Ohne Zugang zu Beschäftigung oder medizinischer Versorgung gleicht das Dasein dieser Menschen einer Zwangspause. Diese Tatsache birgt gefährliches Frust- und Konfliktpotenzial.“ Dennoch können diese Personen Malta nicht mehr auf legalem Weg verlassen – aus Sicherheitsgründen.
Auch in anderen Bereichen, wie etwa im Flugverkehr, können staatliche und institutionelle Sicherheitsmaßnahmen in ihr Gegenteil umschlagen, meint Katharina Eisch-Angus im Einklang mit Dr. Gerrit Herlyn, Kulturwissenschafter der Universität Hamburg und Vortragender der Tagung: „Bei Vorabkontrollen der Passagierdaten, Körperscans oder Flüssigkeitsverboten wird deutlich, dass bestimmten Fluggästen, meist muslimischen Männern, aufgrund sozialer und kultureller Unterschiede häufig ein Gefährdungspotenzial zugeschrieben wird – und zwar rein auf Verdacht.“
Die ForscherInnen werden auch historische Kontrollregimes sowie den Umgang mit alltäglicher Angst in der gegenwärtigen „Sicherheitsgesellschaft“ analysieren. Im Round-Table-Gespräch zum Abschluss der Konferenz diskutieren ExpertInnen aus Wissenschaft und alltäglicher Praxis zur Frage, was Sicherheit und Unsicherheit aus unterschiedlichen Erlebensperspektiven bedeuten.
Tagung: „Der Alltag der (Un)Sicherheit. Ethnographisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Sicherheitsgesellschaft“.
Zeit: Freitag, 6. November, und Samstag, 7. November 2015. Eröffnung jeweils um 9:15 Uhr
Ort: ehemaliges Dominikanerkloster, Dreihackengasse 1, 8020 Graz