Eine Klasse, 25 Kinder und vier Leseniveaus: ein interdisziplinäres Team junger Wissenschafterinnen der Uni Graz rund um Univ.-Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera hat Materialien entwickelt, die den differenzierten Leseunterricht in der Volksschule erleichtern. Die LehrerInnen können mit speziellen und bislang einzigartigen Lernheften gemeinsam mit allen Kindern an einem Thema arbeiten – egal ob die SchülerInnen lesestark oder -schwach sind.
Bis zu 20 verschiedene Muttersprachen in heimischen Volksschulklassen schaffen unterschiedliche Voraussetzungen für den deutschsprachigen Unterricht. „Für die PädagogInnen eine große Herausforderung, die es oft erschwert, mit allen Kindern zusammen den gleichen Inhalt zu erarbeiten“, bestätigt Univ.-Prof.in Barbara Gasteiger-Klicpera vom Institut für Bildungs- und Erziehungswissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz.
Neu entwickelte Lesehefte für den differenzierten Leseunterricht (DiLu) holen nun die Kinder an jenem Niveau ab, wo sie gerade stehen. „Das war bislang bei Schulbüchern nicht der Fall“, weiß Gasteiger-Klicpera.
Lückenschluss
„Genau diese Lücke schließt dieses Projekt“, ergänzt Bildungslandesrätin Mag. Ursula Lackner. „Diese Lesehefte helfen den Kindern dabei, unabhängig von ihrer Lesekompetenz den selben Lernstoff in der gleichen Geschwindigkeit zu erarbeiten wie die anderen Kinder in ihrer Klasse.“ Erstmals passe sich damit ein Schulbuch den Bedürfnissen der Kinder an – bisher mussten sich immer die SchülerInnen den Vorgaben der Bücher unterordnen. Zugleich unterstütze der DiLu Kinder mit nicht deutscher Muttersprache auch das Deutschlernen. „Das ist der Schlüssel zur erfolgreichen Integration. Denn wie sollen uns Kinder ihre Gefühle, ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse verständlich machen, wenn wir sie nicht verstehen?“, betont Lackner.
Vier Hefte tragen unterschiedlichen Niveaus – lesestark, durchschnittlich lesend, unterdurchschnittlich lesend und leseschwach – Rechnung. Zu jedem Niveau gibt es eigenes Lese- und Arbeitsmaterial, das sich äußerlich nur durch die Farbgebung unterscheidet. Auf eine alphabetische oder nummerische Unterscheidung wurde bewusst verzichtet, um keine sichtbare Reihung vorzunehmen.
Neben Texten mit Leseverständnisaufgaben, Wortschatzaufbau sind auch Spiele in die Lernunterlagen integriert.
Erst kürzlich wurde das Themenheft „Körper, Gefühle und Gesundheit“ für die dritte Schulstufe vorgestellt. „Die LehrerInnen brauchen gute Beobachtungs- und diagnostische Fähigkeiten, um das entsprechende Leseheft zuzuteilen“, so die Diplomlinguistin Susanne Seifert. Um den LehrerInnen diesen Prozess zu erleichtern, arbeitet das Projektteam an einem differenzierten Lernstandserhebungsverfahren.
Projekt LARS
Die Materialien sind im Rahmen des Evaluationsprojektes LARS (Language and Reading Skills) – gefördert vom Bildungsressort des Landes Steiermark – in enger Kooperation mit zahlreichen steirischen Volksschulen entstanden und eignen sich besonders für den Lese- und Sachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen.
Die Psychologin und Pädagogin Mag. Lisa Paleczek aus dem Projektteam erklärt: „Wir haben darauf geachtet, dass auch Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch durch gezielte Wortschatzarbeit der Leseerwerb einfacher fällt.“ Das interkulturelle Lernen und die Toleranz zwischen den Kindern werden ebenso damit gefördert.
Bildtext: Univ.-Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera und Bildungslandesrätin Mag. Ursula Lackner ließen sich die Lesehefte von den Kindern der Volksschule Brockmanngasse in Graz zeigen