Bald ist Weihnachten. Doch wer bringt die Geschenke - das hierzulande traditionelle Christkind oder Santa Claus aus Amerika? Univ.-Prof. Dr. Stefan Brandt, Leiter des Instituts für Amerikanistik der Uni Graz, geht dieser Streitfrage auf den Grund:
Es weihnachtet sehr und auf dem Grazer Christkindlmarkt können wir neben Engelspiel und traditionellem Kunsthandwerk allerlei lokalen kulinarischen Genüssen (u.a. Beerenfeuer und Mariazeller Lebkuchen) frönen. Ein ähnliches Bild erleben wir im Wiener „Adventzauber“, der mit zahlreichen traditionellen Veranstaltungen – etwa der Adventskerzensegnung durch das Wiener Christkindl und dem Vorlesen der Weihnachtsgeschichte an verschiedenen Tagen durch 23 Prominente – BesucherInnen aus aller Welt anlockt. Dennoch mehren sich auch dieses Jahr wieder Stimmen, dass die überlieferten Werte des Weihnachtsfestes zugunsten von Kommerz und Konsum in den Schatten geraten seien. Einige beklagen gar, dass der Weihnachtsmann – als amerikanische Variante des Geschenkebringers – das hierzulande verwurzelte Christkind als Symbolfigur verdrängt habe. In einem aktuellen Interview warnt eine Kölner Theologin sogar davor, Kindern vom Weihnachtsmann zu erzählen, da er „ein säkularisierter Mythos ohne Substanz“ sei.
Die Welt der Werbung und der Populärkultur scheint diesen Eindruck auf den ersten Blick zu bestätigen: In den Spots einer amerikanischen Limonadenfirma sehen wir die altvertraute Figur des in Rot und Weiß gewandeten Santa Claus, der zusammen mit Rudolph, dem rotnasigen Rentier, die Geschenke bringt. Und aus dem Radio tönt Bing Crosbys „White Christmas“. Ist das Christkind, das in Österreich und Süddeutschland über Jahrhunderte hinweg für das Weihnachtsfest stand, also bereits durch den „amerikanischen“ Santa Claus ersetzt worden? Tatsächlich gab es in den Nachkriegsjahren eine weltweite Werbekampagne der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie, die, im Zuge der „Re-education“-Politik, Bilder des fröhlichen Santa Claus auf seinem Rentierschlitten lancierte, um, wie es Gerhard Jochem in einem SPIEGEL-Artikel formuliert hat, „mittels strahlender Kinderaugen die moralische Überlegenheit des eigenen Systems zu beweisen.“
Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein weitaus differenzierteres Bild der vermeintlichen Amerikanisierung des Weihnachtsfestes. So hat eine vergleichende Studie zur Präsenz von Christkind und Weihnachtsmann in den österreichischen Medien, die 2011 an der Universität Wien durchgeführt wurde, ergeben, dass wir eher von einer Koexistenz der beiden Symbolträger in der hiesigen Vorstellungswelt sprechen müssen, wobei es zahlreiche hybride Erscheinungsformen gibt. Das Christkind ist demzufolge keineswegs aus unserem Bewusstsein verschwunden, sondern – ganz im Gegenteil – dank verschiedener Initiativen von Medien, Werbefachleuten und Bevölkerung gestärkt aus dem „Wettbewerb“ mit Santa Claus hervorgegangen.
In schriftlichen Darstellungen überwiegt der Begriff ‚Christkind‘ sogar bei weitem, während Bezüge auf Santa Claus in visuellen Repräsentationen (Filmen, Werbespots, etc.) dominieren. Oft erscheinen die beiden Figuren auch symbolisch miteinander verkoppelt. So wird das Christkind manchmal mit der für den Weihnachtsmann typischen rotweißen Mütze abgebildet, was für den hohen Grad an Adaptionsfähigkeit europäischer Kultursymbole spricht. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Santa-Claus-Figur lässt uns die Frage der angeblichen kulturellen Prägung durch die USA zudem neu bewerten.
Erfunden wurde die uns bekannte Weihnachtsmannfigur keineswegs 1931 von Coca-Cola, wie ein weitverbreiteter Irrglaube besagt. Schon 1834 schrieb der deutsche Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben das bekannte Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, das die besungene Figur als Geschenkebringer etablierte. Popularisiert wurde der moderne Santa Claus in der uns bekannten Gestalt (rosiges Gesicht, rundliche Figur, Pelzanzug) in den 1860er Jahren durch den deutschamerikanischen Cartoonisten Thomas Nast, der durch den in seiner pfälzischen Heimat bekannten „Belzenickel“ inspiriert wurde. Auch die Farben Rot und Weiß hat Nast aus seiner Kindheitserinnerung übernommen und auf den amerikanischen Weihnachtsmann übertragen. Sogar der Name der nun als „Santa Claus“ bekannten Figur leitet sich aus europäischen Wurzeln her. Der holländische „Sinter Klaas“ gelangte im 17. Jahrhundert nach Amerika und war der Schutzpatron von Neu-Amsterdam (des späteren New York). Selbst der geschmückte Weihnachtsbaum galt in Amerika lange Zeit als europäische (genauer gesagt: deutsche) Erfindung, wurde er doch um die Mitte des 18. Jahrhunderts erst allmählich in Pennsylvania durch EinwandererInnen aus dem deutschsprachigen Raum bekannt gemacht.
Im Jahre 1883 konnte die New York Times in einem Artikel den „German christmas tree“ als „wurzellosen und leblosen Leichnam“ bezeichnen, dessen Siegeszug man unbedingt aufhalten müsse. Mit der Besiedelung des amerikanischen Westens durch deutschsprachige ImmigrantInnen wurde der Weihnachtsbaum erst nach und nach auch in Gegenden wie Illinois, Colorado und Kalifornien als Teil einer sich neu gründenden amerikanischen Tradition anerkannt.
Angesichts dieser Prägung der westlichen Weihnachtskultur durch Einflüsse aus dem deutschsprachigen Raum erscheint es fragwürdig, wenn heute von einer „Amerikanisierung“ des Christfestes gesprochen wird. Vielmehr befinden sich Kulturen generell im Fluss. Ebenso wie die amerikanische Kultur Eindrücke und Bilder aus Europa aufgenommen hat, wird sich auch eine lebendige europäische Kultur aufgeschlossen gegenüber Einflüssen aus Amerika zeigen, ohne dass dadurch althergebrachte Traditionen völlig verloren gehen.