Am Sonntag ist das russische Volk zur Wahlurne geschritten, der Sieger der Präsidentschaftswahl stand aber schon so gut wie fest: Wladimir Putin ist am Höhepunkt seiner Macht und tritt seine vierte Amtszeit an. Der Völkerrechts- und Russland-Experte Ass.-Prof. Dr. Benedikt Harzl, MA, vom Russian East European Eurasian Studies Centre der Uni Graz beschreibt im AirCampus-Podcast der Woche, woran das System krankt, wie Putin seine Macht stärkt und warum es an Alternativen fehlt.
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Lesen Sie hier die Langfassung des Interviews:
Herr Harzl, die Frage, wie demokratisch Wahlen in Russland sind, stellt sich nicht erst jetzt, sondern schon seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991. Warum hat es Russland bis heute nicht geschafft, demokratische Strukturen aufzubauen und zu etablieren?
Was in Russland nicht gelang, war – obwohl es die Verfassung aus dem Jahr 1993 so vorsieht – eine umfassende Konsolidierung der liberaldemokratischen Verfahren und Institutionen herbeizuführen. Dieser Trend hat schon unter Putins Amtsvorgänger Boris Jelzin begonnen. Damals wurde das Land buchstäblich unter einer Handvoll Oligarchen aufgeteilt, die sich selbst zum Gewaltmonopol des Staates erhoben haben, wobei Jelzin nur auf dem Papier Präsident war.
Schon damals wurde die Wandlung von einem autokratischen Staat zu einem funktionierenden Rechtstaat also bewusst abgebremst?
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass ehemals autokratische Staaten sich immer in einem unaufhaltsamen, quasi-linearen Prozess hin zum etablierten und funktionierenden Rechtsstaat befinden. Dieser Fortschrittsglaube ist heute überholt. Viele Staaten sind in einem Graubereich gelandet, der keine genaue Zuordnung zwischen Autokratie und rechtstaatlicher Demokratie erlaubt. Russland ist sicher in diesem Graubereich zu finden.
Der Sieger der Präsidentschaftswahl 2018 steht bereits so gut wie fest. Wie hat es Wladimir Putin geschafft, seine Macht soweit auszubauen, dass es in Russland heute keine handlungsfähige politische Opposition gibt?
Putin hat von der mangelnden Konsolidierung des demokratischen Staatswesens profitiert und mit seiner Partei „Einiges Russland“ sowie dem Aufbau einer medialen Macht einiges vorgelegt. Dazu zählt auch die Gängelung oppositioneller politischer Bewegungen und die NGO-Gesetzgebung, die auch zivilgesellschaftlichen Gruppen das Leben schwermacht. Die Diskreditierung politischer GegnerInnen als ausländische AgentInnen spielt dabei ebenfalls eine große Rolle. Und man darf nicht vergessen, dass es Putin hervorragend verstanden hat, einige oppositionelle Persönlichkeiten für die eigene Sache einzuspannen. Die Opposition in Russland ist aber sowieso notorisch fragmentiert.
Wenn man all diese Faktoren berücksichtigt, muss man dann nicht zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Russland de facto eine Diktatur geworden ist?
Ich würde diese Behauptung so nicht teilen wollen. Russland gleicht dem, was Univ.-Prof. Dr. Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck so treffend als „defekte Demokratie“ bezeichnet hat. Einerseits teilen sich die gewählten RepräsentantInnen das Gewaltmonopol mit VertreterInnen der Geheimdienste sowie des Militärs mit geduldeten Oligarchen. Andererseits bleiben verfassungsrechtlich vorgegebene Institutionen und Verfahren in Kraft. Außerdem ist Russland nach wie vor Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention und hält sich – zumindest mehr oder minder – auch an die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Man sollte daher mit zu voreiligen Etikettierungen vorsichtig sein.
Was bedeutet die momentane Lage für die Beziehung zwischen Russland und Österreich? Die EU ist zurückhaltend beim Thema „Aufhebung der Sanktionen“, Österreich macht sich aber dafür stark, Russland wieder als wirtschaftlichen Partner zu gewinnen.
Die Entfremdung zwischen Russland und dem Westen ist momentan auf ihrem Höhepunkt seit dem Zerfall der Sowjetunion. Bei beiden herrschen vom jeweils anderen starke Propagandabilder vor, die zur realen Gefahr werden können, wenn sie unkritisch reflektiert werden. Österreich wird voraussichtlich keinen Alleingang bei der Aufhebung der EU-Sanktionen wagen. Auch Griechenland, Zypern und Italien, die ebenfalls als zumindest nicht russlandfeindlich beschrieben werden, haben Derartiges in der Vergangenheit unterlassen. Das ist auch Russland klar und wird daher voraussichtlich nicht die ohnehin guten Beziehungen zwischen Wien und Moskau belasten. Vieles wird daher von der neuen deutschen Bundesregierung abhängen.
Sollten die Sanktionen aus Ihrer Sicht überhaupt aufgehoben werden und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Ich persönlich glaube, dass es notwendig ist, endlich aus dieser Sanktionsspirale rauszukommen, die auch die heimische Wirtschaft erheblich belastet. Die Befriedung der Ostukraine könnte als Ausgangspunkt für ein schrittweises Zurückfahren der Sanktionslogik dienen. Dazu muss aber auch Russland liefern. Bei der Krim bin ich da weniger optimistisch. Ein Zurückholen in die Ukraine scheint trotz des eklatanten Bruchs des Völkerrechts aussichtslos zu sein. Aber dies sollte nicht notwendigerweise einem frischen Start mit Russland im Wege stehen. Auch die nach wie vor andauernde militärische Okkupation Nordzyperns durch die Türkei hat die Beziehungen zwischen Ankara und dem Westen nicht vollends erschüttert.