Autodrom und Ringelspiel, Würstel und Zuckerwatte: In wenigen Tagen startet wieder die Grazer Messe, der Vergnügungspark ist eine Hauptattraktion. Wie sich der Alltag der SchaustellerInnen in der Vergangenheit und heute gestaltet, hat Dr. Helga Zugschwert in ihrer Dissertation am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Uni Graz erstmals beleuchtet. „Da diese Berufsgruppe besonders flexibel und mobil sein muss, stehen gerade Familien vor ganz anderen Herausforderungen als die Durchschnittsbevölkerung“, beschreibt die Doktorandin ihre Motivation.
Verkehr und Technik
Durch den technischen Fortschritt und den Ausbau des Straßennetzes haben sich auch die Arbeitsbedingungen der SchaustellerInnen in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Im frühen 20. Jahrhundert fertigten sie beispielsweise ihre Attraktionen üblicherweise selbst, erst ab den 1960er-Jahren konnten sich österreichische UnternehmerInnen zunehmend Attraktionen – wie etwa Autodrome – aus der Fabrik leisten. Verbesserte Transportmöglichkeiten und Hilfsmittel erleichterten Anreise und Aufbau, auch der Wohnkomfort erhöhte sich stark. Neben dem mobilen Heim schafften sich JahrmarktbeschickerInnen nun immer häufiger einen festen Wohnsitz an. „Die 1970er und 80er waren goldene Jahrzehnte für die Branche“, berichtet Zugschwert. Feuerwehren, Rotkreuz- und ähnliche Organisationen riefen zahlreiche Volksfeste ins Leben und bescherten den SchaustellerInnen zusätzliche Einnahmequellen. Ab den späten 1990ern kämpften die UnternehmerInnen vermehrt mit hohen Treibstoffkosten, steigenden Platzmieten und ab 2004 der Einführung des Roadpricing für Lkw. „Auch die geänderte Freizeitgestaltung setzt dem Sektor zu“, weiß die Wissenschafterin. „Fernreisen, Fernsehen und Internet machen Messen und Jahrmärkte weniger attraktiv, und manche Großeltern schenken ihren Enkelkindern eher eine Handy-Wertkarte als eine Karussel-Fahrt“, hat Zugschwert herausgefunden.
Netzwerk und Bildung
Für ihre Arbeit interviewte die Volkskundlerin zahlreiche SchaustellerInnen aus der Steiermark beziehungsweise aus ganz Österreich. „Ihren Beruf erleben die meisten als schwer und anstrengend, aber sehr abwechslungsreich und bereichernd“, fasst die Dissertantin zusammen. „Auffallend ist auch, dass die meisten bereits in der Branche groß geworden sind.“ Einen Grund dafür sieht Zugschwert in der intensiven Bindung an den elterlichen Betrieb. Auch die Ausbildungssituation, der sie ein umfassendes Kapitel widmet, dürfte eine Rolle spielen. „Die Kinder waren früher oft WanderschülerInnen, wenn es keine Verwandten gab, die sich um sie kümmerten, und Internat oder Fremdbetreuung nicht finanziert werden konnte“, erklärt die Wissenschafterin. Das heißt, sie wechselten pro Saison mehrmals die Einrichtung, mussten sich auf neue Personen einstellen und konnten kein kontinuierliches Wissen erwerben, da der Fortschritt beim Lernstoff in den verschiedenen Schulen ganz unterschiedlich war. Hinzu kam, dass die Eltern wenig Zeit hatten, mit dem Nachwuchs Hausaufgaben zu machen oder zu lernen, sondern die Mithilfe im Betrieb forderten.
Die aktuelle gesetzliche Regelung sieht einen Schulbesuch auf Reisen nicht mehr vor. Die Kinder können entweder am häuslichen Unterricht teilnehmen oder gehen regelmäßig in eine Schule. „Seither ist das Bildungsniveau gestiegen, und mehr Schaustellerkinder als früher ergreifen einen anderen Beruf“, weiß Zugschwert. Der Großteil verbleibt aber nach wie vor im Familienunternehmen.
In Österreich sind aktuell etwa 300 mobile SchaustellerInnen registriert, sie sind nach wie vor ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Pro Saison legen sie mit ihren Geschäften bis zu 7.000 km zurück. Als Berufsgruppe gibt es für sie derzeit keine spezifische Ausbildung, die meisten haben sich das nötige Wissen von den Eltern oder in höheren Schulen beziehungsweise über Fachzeitungen und -messen angeeignet.
Dienstag, 21.04.2015